Das Selbstbestimmungsgesetz ist da – ein Meilenstein für die queere Community in Deutschland. Es ermöglicht trans, inter und nicht-binären Menschen, ihren Namen und Geschlechtseintrag einfacher und ohne langwierige Verfahren anpassen zu lassen. Doch wie fühlt es sich an, diese Möglichkeit zu nutzen? Thia Bauer, langjähriges Mitglied der Community in Nürnberg, teilt in diesem Interview ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit den ersten Schritten nach Inkrafttreten des Gesetzes. Sie spricht über emotionale Meilensteine, bürokratische Hürden und die finanziellen Herausforderungen, die mit der Änderung offizieller Unterlagen einhergehen. Ein ehrlicher Einblick in ein Leben, das endlich selbstbestimmt gestaltet werden kann.
Wir sagen DANKE für deine Offenheit!
„Am 12. April 2024 war es endlich soweit!
Der Bundestag beschloss das „Selbstbestimmungsgesetz“ (SBGG), welches das „Transsexuellengesetz“ (TSG) mit Wirkung vom 1. November 2024 abgelöst und zumindest die Änderung des Geschlechtseintrags „vereinfacht“ hat. Leider wurde der ursprüngliche Gesetzesentwurf des SBGG, auf Druck von vermeintlichen exkludierenden „Frauenrechtlerinnen“ und konservativen Kreisen so überarbeitet, dass die finale Fassung unnötige Übergangsfristen, Ausschlussklauseln und einen überflüssigen Verweis auf das „Hausrecht“ enthält.
Ich gebe zu, dass auch ich von dieser „vereinfachten Form“ der Personenstandsänderung profitiere, da ich mir hierdurch die Kosten für zwei zusätzliche unabhängige Gutachten spare, die meine Transsexualität (ICD 10, bzw. Transsexualismus“ (F64.0)) bestätigen, sowie die ebenfalls kostenpflichtige Anhörung vor Gericht. Das SBGG basiert auf der Resolution 2048 des Europarates vom 22. April 2015 wo alle Mitgliedsstaaten der EU aufgefordert wurden, vereinfachte Verfahren zur Namens- und Personenstandsänderung zu schaffen.
Um es vorweg zu nehmen, Dänemark war in der EU 2014 Vorreiter und es sind keine nennenswerten Missbrauchsfälle seit dieser Zeit bekannt.
Aber ist es jetzt wirklich so leicht, wie viele behaupten, das Geschlecht, bzw. den Personenstand zu wechseln?
Vorwurf gegen Personenstandsänderungen
„(…) die Menschen, die sich gegen dieses Gesetz aussprechen, die Gesetzgebenden mit einer Flut von potentiellen Missbrauchsszenarien konfrontiert haben.
Das liebste Szenario dieser Menschen war und ist, dass sich CIS-Männer / männlich gelesene Personen, durch die Änderung Ihres Personenstandes, Zutritt zu Frauenschutzräumen verschaffen können.
Dass so etwas bereits jetzt passiert und dass diese Menschen hierfür auch nicht ihren Personenstand / Geschlecht ändern, zählte als Entkräftung dieser steilen Behauptung leider nicht.“
Gerne erzähle ich im Nachgang meine persönliche Erfahrung.
Da ich ein ungeduldiger Mensch bin, habe ich unmittelbar nach Bekanntgabe des Beschlusses bei meinem zuständigen Standesamt in Nürnberg einen Termin angefragt. Am 15.04. bekam ich auch gleich eine Rückmeldung vom Amt, dass man mich auf einer Warteliste erfasst hat und sich Mitte Juli bei mir melden wird, um einen Termin für die Anmeldung zu vereinbaren.
Diese Anmeldung war frühestens 3 Monate vor dem eigentlichen Inkrafttreten des Gesetzes möglich, was faktisch der 01. August 2024 war. Zuverlässig erhielt ich am 15.07. einen Anruf mit einem Terminvorschlag für den 01.08.2024, welchen ich sofort bestätigt habe. Am 01.08.2024, 9:00 Uhr (MEZ) war es endlich soweit! Ich durfte meine Anmeldung zur Änderung des Personenstandes abgeben. Mit etwas Stolz muss ich hier erwähnen, dass ich die zweite Person im Geltungsbereich der Stadt Nürnberg war. Zur Anmeldung mussten Ausweisdokumente, Geburtsurkunde, ggf. Heiratsurkunde, ggf. Geburtsurkunde der Kinder im Original mitgebracht werden. Von allen Dokumenten wurden Kopien angefertigt und ein entsprechender Vorgang angelegt. Im Rahmen der Anmeldung wurde nach meinem Wunschgeschlecht, was eigentlich erkennbar sein sollte, und nach einem Wunschnamen gefragt, den ich zukünftig tragen möchte und der zu meinem gewählten Geschlechtseintrag passt.
Somit wurde Thia zum ersten Mal amtlich dokumentiert, was mich in diesem Moment zu einem richtig glücklichen Menschen machte. Zum Abschluss durfte ich noch etwas in die Stadtkasse einzahlen und den nächsten Termin, welcher frühestens 3 Monaten erfolgen kann, für den finalen Vorgang abstimmen. Wegen des Feiertages in Bayern war der 01.11. leider nicht möglich, weshalb mein Termin für die amtliche Änderung am 04.11.2024 erst möglich war. Und so kam der 04.11.2024 und zu meiner Freude war ich die erste Person in Nürnberg, die auch Ihren Wohnsitz in Nürnberg hat.
Dies hat die Behörde dazu bewegt, mich zu fragen, ob ich als Versuchskaninchen herhalten möchte. Ich sagte nur „so lange es nicht weh tut“ und war daraufhin zu allem bereit. Nach der Ausstellung meiner neuen Geburtsurkunde wurde ich von einer sehr netten Dame abgeholt und wir gingen durch die Katakomben der Behörde direkt ins Einwohnermeldeamt, wo für mich ein Termin eingeschoben wurde.
Ich wurde gebeten, kurz in der Wartehalle Platz zu nehmen, aber dies nur solange, bis die Ummeldung im Melderegister erfolgreich vollzogen wurde. Es dauerte keine 5 Minuten und ich wurde wieder zu Schalter abgeholt, wo eine Bedienstete sehr zuvorkommend meine Anträge auf Erstellung eines neuen Personalausweises und Reisepasses bearbeitete. Gut vorbereitet hatte ich schon neue Passbilder dabei, so dass alles fertig gemacht werden konnte. In weiser Vorausschau hatte ich schon einen Termin bei der Führerscheinstelle gemacht, welcher zeitlich im direkten Anschluss war. Noch einmal durch die Katakomben und wenige Minuten später konnte ich auch schon einen neuen Führerschein beantragen. Dies war jedoch nur möglich, da die Personenstandsänderung im Meldesystem der Behörde schon vollzogen wurde.
Danach hatte ich noch einen Termin bei einer Behörde, die auch sehr gut vorbereitet war, so dass ich erst einmal alle Behördengänge in 1 ½ Stunden erledigen konnte. Alles zusammengerechnet € 285 erleichtert, heißt es nun warten, bis ich die neuen amtlichen Dokumente in Händen halten darf.
Ab dem Zeitpunkt der amtlichen Änderung ist Mensch aber noch lange nicht fertig…
Krankenkasse, Rentenversicherung, Versicherungen, Kundenkonten, Kundenkarten, Bankkarten, Bankkonten, …..
Kurzum zusammengefasst: Alles in Allem noch immer ein Aufwand, den Mensch nicht einfach mal so macht damit dieser Mensch „Missbrauch“ damit begehen kann…
Liebe Grüße, Eure Thia (sie/ihr)
Steps und Kostenaufstellung
Aufstellung anhand von Thias Bedarf.
Neu zu korrigieren | Preis | Kommentar |
Terminvereinbarung Anmeldung | 00,00 EUR | |
Anmeldung beim Standesamt | 15,00 EUR | |
Personenstandsänderung | 45,00 EUR | |
Geburtsurkunde neu | 12,00 EUR | |
Heiratsurkunde neu | 12,00 EUR | online / da kein Standard |
Geburtsurkunde je Kind neu | 24,00 EUR | online / da kein Standard und abweichender Geburtsort |
Passbilder neu | 15,00 EUR | |
Personalausweis neu | 37,00 EUR | |
Reisepass neu | 70,00 EUR | |
Führerschein neu | 34,19 EUR | |
Krankenkassenkarte neu | online | |
Rentenversicherungsnummer | wird über Meldung Standesamt erzeugt | |
diverse Kundenkonten | online, mit teilweise echten Hürden! | |
diverse Kundenkarten | online, mit teilweise echten Hürden! | |
Bankkonten | erst mit Vorlage Personalausweis möglich | |
Bankkarten | erst mit Vorlage Personalausweis möglich | |
Gesamtpreis | 236,19 EUR |